Interview mit Torsten Rox

Als ich letztens, mein schon seit sehr langer Zeit vernachlässigten Spurl-Account, wieder besuchte, dachte ich mir das ein Bericht zum Thema “social bookmarking” für den einen oder anderen interessant sein könnte. Nicht, dass dies etwas neues und bahnbrechendes wäre, aber wenn man dazu jemanden befragt, der sich mit Thema ausgiebig auseinandergesetzt hat, dann wird es interessant. Daher habe ich mich virteuell zum Social-Bookmarking-Experten Torsten Rox begeben und habe ihm ein Fragen zu dem Thema gestellt:

Hallo Torsten, vielen Dank das du dir die Zeit genommen hast auf meine Fragen zu antworten.

Natürlich mache ich das gerne, zumal Dein Weblog auch nach über zwei Jahren nicht von meiner Blogroll gerutscht ist.

Was war dein erster Rechner und was hast du hauptsächlich damit gemacht?

Mein erster Rechner war in den 80ern ein Klotz mit 16 KB. Damit konnte man natürlich nicht viel machen, außer Basic programmieren und kleinere Spiele spielen. Immerhin habe ich es damit mal geschafft, ein Monopoly-Spiel zu programmieren. Aber das ist lange her. Der erste eigene Rechner, den ich produktiv eingesetzt habe, war ab 1994 ein 386er Laptop von Toshiba mit 4 MB Arbeitsspeicher.

Du berichtest in deinem Weblog ausführlich und regelmäßig zum Thema Social Bookmarking (SB). Wie würdest du jemanden der noch nie etwas von SB und Web 2.0 gehört hat in Kurzform das SB erklären?

Vor rund einem Jahr habe ich einmal an einer Definition versucht. Deren Grundelemente würde ich auf jeden Fall einbringen: Social bookmarks bieten die Möglichkeit, Lesezeichen öffentlich (oder halböffentlich im Intranet) abzuspeichern, hinzuzufügen, zu löschen und zu kommentieren, ihnen nicht-hierarchische Schlagwörter (sogenannte tags) zuzuordnen und die eigenen Lesezeichen mit Hilfe eines RSS-Feeds zu publizieren bzw. damit die Lesezeichen anderer Nutzer zu verfolgen. Um anderen die Nutzung von SB schmackhaft zu machen, sollte auf die spezifischen Vorteile einzelner Nutzergruppen verwiesen werden.

Ich möchte gerne drei Beispiele nennen: Zum Beispiel kann eine SB-Applikation für einen Akademiker eine sinnvolle Ergänzung zu seiner Literaturverwaltung sein. Werkzeuge wie Connotea oder CiteUlike erlauben es, sich mit anderen Wissenschaftlern über Aufsätze auszutauschen oder sich durch Ausnutzen von Tags und RSS-Feeds auf themenspezifische Publikationen hinweisen zu lassen.

Für einen Journalisten liegt der besondere Reiz darin, mit Hilfe eines Dienstes wie Furl oder Spurl Zeitungsartikel bzw. Recherchematerial permanent zentral abzuspeichern und mit Tags zu ordnen. Geschäftsleute werden dagegen am SB schätzen, dass es als sinnvolle Ergänzung im internen Wissensmanagement und in der Unternehmenskommunikation dienen kann.

Generell gibt es viele Gründe für SB (siehe auch hier): es ist für alle interessant, die an bzw. mit mehreren Rechnern arbeiten, für alle, die Lesezeichen zu bestimmten Schlagwörtern sammeln und dabei auf Impulse von außen hoffen und für alle, die auf ein modernes, dynamisches Wissensmanagement setzen wollen. Den Möglichkeiten der Arbeit mit SB sind nur wenige kreative Grenzen gesetzt.

Was fasziniert dich an SB und was meinst du was die anderen daran fasziniert, ist es eher die Neugier was die anderen für Lesezeichen ablegen oder eher das Mitteilungsbedürfnis?

Mich hat zuallererst die Möglichkeit fasziniert, Zeitungsartikel zentral zu speichern. Sehr schnell kam hinzu, dass mir diese Anwendungen erlauben, Wissen (in Form von Lesezeichen) effektiv zu ordnen und abzurufen. Außerdem schätze ich SB als die Möglichkeit eines kondensierten Wissensaustausches mit anderen Webloggern (eine just aktualisierte Liste von interessanten Sammlungen findet sich hier).

Ich sehe, was andere gefunden finden, ohne ganze Blogeinträge lesen zu müssen, und meinerseits kann ich sehr zeitsparend auf URIs verweisen, ohne dass ich gleich einen Artikel schreiben muss. Gemeinhin ist das auch als Linkdump bekannt, wenn ich – wie momentan – meine Lesezeichen in mein Blog einbinde, kann ich sie zudem als Sideblog nutzen.

In der schnelllebigen Zeit des Internets erlauben mir social bookmarks, Entwicklungen in vielen Interessengebieten zu eobachten. Social bookmarks anderer Nutzer haben mich wiederholt auf interessante Internetseiten, Blogeinträge oder Nachrichten hingewiesen. “Vorsprung durch Wissen” ist ein wichtiges Schlagwort. In diesem Kontext spielt höchstens Neugier, aber wenig bis gar nicht Mitteilungsbedürfnis eine Rolle.

Was war deiner Meinung nach das ausschlaggebende für die relativ schnelle Ausbreitung von SB: die “neue” Technik (Ajax, Tags & Konsorten) oder eher die soziale Komponente?

Beide Faktoren greifen ineinander: Ajax ist sehr wichtig, wenn es um die Bedienbarkeit geht, und RSS ist eine Grundvoraussetzung für die soziale Komponente, ohne die Dienste wie digg niemals so erfolgreich geworden wären. Und diese soziale Komponente, d.h. eine große Masse an Nutzern ist es wiederum, die eine Sortierung nach Tags und Phänomene wie Folksonomy erst wirklich funktionieren lassen.

Welchen Anbieter nutzt du und welchen würdest nach folgenden Kriterien gesehen empfehlen: Datenschutz, Erreichbarkeit,
Bedienbarkeit?

Ich will es mir mit niemandem verderben, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass ich Spurl und del.icio.us nutze. Spurl nutze ich als Speicher für Seiten, die unter Umständen nicht permanent verfügbar sein werden (z. B. Zeitungsartikel) oder für Lesezeichen, die privat bleiben sollen. Dagegen schätze ich an del.icio.us zwei Punkte ganz besonders: die große Gemeinschaft und das einfache, aber sehr funktionale Interface. Das Nutzen beider Dienste wird mir dadurch sehr stark erleichtert, dass es bei Spurl möglich ist, Lesezeichen beim Speichern direkt an del.icio.us zu senden. Das bietet meines Wissens bislang niemand sonst.

In punkto Datenschutz steht Spurl weit oben, denn zur Anmeldung ist theoretisch nicht einmal eine Mailadresse erforderlich. Das heißt in diesem Falle auch, dass man sich das Passwort gut merken sollte.

Beim Thema Erreichbarkeit trifft man bei allen Diensten einen wunden Punkt. Alle Anbieter sind (mit wenigen Ausnahmen) kostenlos, da darf der Nutzer nicht zu viel erwarten. Kurz nach dem Kauf durch Yahoo musste del.icio.us viel Häme einstecken, als der Server versagte. Ausfälle habe ich auch schon bei Furl und Spurl erlebt, das sind allerdings auch die beiden einzigen Anbieter, die ich bisher neben del.icio.us sehr intensiv genutzt habe. Wer in diesem Punkt zu Paranoia neigt, sollte eine Open-Source-Lösung auf dem eigenen Server installieren. Regelmäßige Backups sind ohnehin zu empfehlen.

Bislang setzt del.icio.us Maßstäbe, was die Bedienbarkeit angeht. Das Interface ist zwar leider hässlich, aber einfach und funktional. Beim Abspeichern eines Links wird der Nutzer in seinem Ordnungsstreben unterstützt, das heißt, es werden Tags für eine Seite vorgeschlagen. Einerseits wird nach passenden Tags aus der nutzereigenen Sammlung gesucht (soweit vorhanden),
andererseits werden auch die häufigsten Tags anderer User vorgeschlagen, sofern diese Adresse bereits mehrfach gespeichert wurde. Andere Dienste wie z. B. Simpy, Netvouz oder Blinklist holen in diesem Aspekt langsam, aber sicher auf.

SB war der einer der ersten Schritte, was meinst du, was können wir in Zukunft noch erwarten? Social …?

Beim SB bleibt noch viel zu tun. Zunächst wird es darauf ankommen, zwischen den vielen verschiedenen Anbietern Interaktion herzustellen. Punkte wie Easy URIs, ein API, die Synchronisation mit del.icio.us (anstelle des Imports) entwickeln sich zum Standard. Das eröffnet viele Möglichkeiten.

Weitere Möglichkeiten der Interaktion bieten Blog- und Wikisysteme sowie andere CMS, insbesondere auch, was die Ordnung mittels Tags angeht. Auf Clientseite stellt sich die Frage, wie getaggte Lesezeichen bestmöglich in einem Standardbrowser wiedergegeben werden, der ja selber nur Ordner erlaubt, ganz zu schweigen von einer optimalen Synchronisation. Zwar sind Projekte wie Flock sehr interessant, aber nichts für die breite Masse an Nutzern. Letzten Endes darf trotz einer aktiven Teilnahme an verschiedenen Web-2.0-Applikationen wie del.icio.us, Flickr, 43things etc. die Frage nicht zu kurz kommen, inwiefern die Privatsphäre durch die Teilnahme an diesen Diensten tangiert wird.

Wenn z. B. das Interessenprofil einer Linksammlung dazu benutzt wird, mir kontextsensitive Werbe-E-Mails zu schicken, hört der Spaß bei mir auf. Die Weiterentwicklung sollte kritisch beäugt werden.

Wir arbeiten seit 20 Jahren mit WordPress und bieten diverse Dienst­leistungen rund um das System an. Kontaktiere uns für weitere Informationen oder für ein Angebot.

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2 Kommentare

  1. Interview über Social bookmarking…

    Wen es interessiert:
    Vlad Simovic aka Perun hat ein Interview mit mir gemacht, wobei wir uns thematisch auf das Phänomen social bookmarking konzentriert haben.

    Ich hoffe, keine allzu schlechte Figur gemacht zu haben…

Kommentare sind geschlossen.